Volkssouveränität und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik

AutorOliver Lepsius
CargoUniversität Münster
Páginas275-296
VOLKSSOUVERÄNITÄT UND DEMOKRATIEBEGRIFF IN
DER WEIMARER REPUBLIK
POPULAR SOVEREIGNITY AND THE CONCEPT OF
DEMOCRACY IN THE REPUBLIC OF WEIMAR
Oliver Lepsius
Universität Münster
ZUSAMMENFASSUNG: I. ZUM VERHÄLTNIS VON VOLKSSOUVERÄNITÄT UND
DEMOKRATIE.- 1.1. Begriffliche Unterscheidungsbedürftigkeit.- 1.2. Zwei Volks-
begriffe.- 1.3. Verfassungsrechtliche Verankerungen.- 1.4. Volkssouveränität und
Demokratieprinzip stellen andere Fragen.- 1.5. Demokratie als juristischer oder
interdisziplinärer Gegenstand.- II. DIE GEGENSTANDSBESTIMMTE
DEMOKRATIEKONZEPTION (CARL SCHMITT).-
2.1. Substantielle Gleichheit.- 2.2. Nicht repräsentierbare Substanz.- 2.3. Parla-
mentarisch nicht erfüllbare Erwartungen.- 2.4. Schlussfolgerungen.- 2.5. Erklä-
rungsansatz.- III. DAS GEGENSTANDSERZEUGENDEN MODELL (HANS
KELSEN).- 3.1. Die Demokratietheorie als Komplementär zur Reine Rechtslehre.-
3.2. Trennung von Souveränität und Demokratie.- 3.3. Volk und Parlament als
unabhängige Staatsorgane.- 3.4. Repräsentation als freiheitssichernder Zurech-
nungszusammenhang.-IV. ZUSAMMENFASSUNG.
Auszug: In der Weimarer Republik wurden grundlegende verfassungstheoretische
Debatten geführt. Ein Kernthema war das Verhältnis von Volkssouveränität und
Demokratie mit der Frage, wie sich das Volk ausdrücken kann: Unmittelbar oder
nur mittelbar über Repräsentanten, mit Hilfe von Organen oder als geistige
Ausdrucksform. Es konkurrierten zwei Richtungen, die in dem Aufsatz als die
gegenstandsbestimmte und die gegenstandserzeugende Richtung vorgestellt
werden. Für die eine wird auf die Schriften von Carl Schmitt zurückgegriffen, für
die andere auf das Werk von Hans Kelsen. Beide gehen von entgegengesetzten
Demokratie-Konzeptionen aus, die sich insbesondere in den Volksbegriffen und
den Funktionen des Volkes als pouvoir constituant (Schmitt) oder pouvoir con-
stitué (Kelsen) unterscheiden. Die zeitgenössischen Differenzen werden zusätzlich
durch parallel verlaufende philosophisch-erkenntnistheoretische Kontroversen
verschärft: Lässt sich der Volkswille empirisch ermitteln oder nur als geistige
Manifestation? Die Weimarer Grundsatzdiskussionen gelten bis heute als eine
Gründungsphase westlichen verfassungsrechtlichen Denkens, gewissermaßen die
zweite Gründungsphase nach der Revolutionsphase in den USA und in Frank-
reich vor 1800.
Abstract: In the Weimar Republic, fundamental debates on constitutional theory
were conducted. A core theme was the relationship between popular sovereignty
and democracy with the question of how the people could express themselves:
Directly or only indirectly through representatives, with the help of organs or as a
spiritual form of expression. There competed two directions, which are presented
in the essay as the object-determined and the object-generating direction. For
one, the writings of Carl Schmitt are used, for the other the work of Hans Kelsen.
Revista de Historia Constitucional
ISSN 1576-4729, n.20, 2019. http://www.historiaconstitucional.com, págs. 275-296
Both start from opposite concepts of democracy, which differ in particular in the
popular concepts and the functions of the people as pouvoir constituant (Schmitt)
or pouvoir constitué (Kelsen). The contemporary differences are additionally ag-
gravated by philosophical-knowledge-theoretical controversies running in paral-
lel: Can the will of the people be determined em-pirically or only as an intellectual
manifestation? To this day, Weimar's fundamental discussions are regarded as a
founding phase of Western constitutional thought, the second founding phase, so
to speak, after the revolutionary phase in the USA and France before 1800.
Schlüsselwörter: Volkssouveränität, Verfassungslehre, Demokratie, Repräsen-
tanz, Deutschland, Weimarer Republik.
Keywords: Popular Sovereignty, Constitutional Theory, Democracy, Representa-
tion, Germany, Weimar Republic.
Die Weimarer Republik ist eine Zeit grundsätzlicher Auseinandersetzungen
um Demokratie, Repräsentation und Volkssouveränität. Das betrifft gerade auch
die wissenschaftliche Diskussion. Um 1800 hatte es eine grundsätzliche Debatte
um die zentralen Legitimations- und Strukturfragen der Demokratie bereits gege-
ben: in den USA mit der Begründung der Verfassung durch die Federalist Papers
(Hamilton, Madison, Jay) oder in Frankreich mit den revolutionstheoretischen
Schriften etwa von Abbé Sieyès. Der Methoden- und Richtungsstreit in der Wei-
marer Republik stellt den zweiten Begründungsdiskurs modernen westlichen Ver-
fassungsdenkens dar. Die Weimarer Debatten wirken als Bezugspunkt staatsthe-
oretischer Grundfragen bis in die Gegenwart fort.1 Zwei Gründe scheinen für die
Grundsätzlichkeit und Symbolträchtigkeit vor allem verantwortlich. Zum einen
der revolutionäre Wechsel der Souveränitätsgrundlage vom monarchischen Prin-
zip zur Volkssouveränität2 und damit die Frage nach dem Geltungsgrund der
Demokratie. Zum anderen dreht es sich in den Weimarer Debatten auch um ei-
nen erkenntnistheoretischen Grundkonflikt zwischen einer gegenstandserzeu-
genden und einer gegenstandsbestimmten Vorgehensweise.3 Die dadurch entste-
1 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band 1914-1945,
1999, 153-202; C. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, 420-455; W. März, Der Rich-
tungs- und Methodenstreit der Staatsrechtslehre, oder der staatsrechtliche Antipositivismus, in:
K. W. Nörr/B. Schefold/F. Tenbruck (Hg.), Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Re-
publik, 1994, 75-133; R. Smend, Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer und der Rich-
tungsstreit, in: FS Ulrich Scheuner, 1973, 575-589; K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehre in
der Weimarer Republik, 2010; dies., Die bundesdeutsche Verfassungstheorie in der Tradition der
großen Fünf Preuß, Anschütz, Thoma, Kelsen und Heller, in: U. J. Schröder/A. v. Ungern-
Sternberg (Hrsg.), Zur Aktualität der Weimarer Staatsrechtslehre, 2011, 13-35; S.-P- Hwang, De-
mokratie im Mehrebenensystem, in: Rechtswissenschaft 4 (2013), 166-192; H. Dreier, Staatsrecht
in Demokratie und Diktatur, 2016; C. Waldhoff, Folgen Lehren Rezeptionen: Zum Nachleben
des Verfassungswerks von Weimar, in: H. Dreier/C. Waldhoff (Hrsg.), Das Wagnis der Demokratie.
Eine Anatomie der Weimarer Reichsverfassung, 2018, 289-315.
2 Dazu P. Caldwell, Popular Sovereignty and the Crisis of German Constitutional Law, 1997, 1-
12, 85-119; K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, 2010, 463 ff.;
C. Gusy, 100 Jahre Weimarer Verfassung, 2018, 109 ff.
3 Dazu O. Lepsius, Erkenntnisgegenstand und Erkenntnisverfahren in den Geisteswissen-
schaften der Weimarer Republik, Ius Commune 22 (1995), 283-310; ders., Die gegensatzaufhe-
bende Begriffsbildung, 1994.
Oliver Lepsius
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