Zum Schutz der Regionalsprachen im europäischen Frankreich. Rechtstatsachen und Rechtsprobleme

AutorThomas Gergen
Páginas337-340

Teissier, Cécile, Zum Schutz der Regionalsprachen im europäischen Frankreich. Rechtstatsachen und Rechtsprobleme, Hamburg, Verlag Dr. Kovac, 2005 (Schriftenreihe Verfassungsrecht in Forschung und Praxis, Bd. 25), XXXII + 438 S., isbn 3-8300-1818-5.

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Vorliegende Studie ist eine gründliche und umfassende Arbeit zum Großthema Sprache und Recht und war zugleich eine in der Juristischen Fakultät der Leibniz-Universität Hannover im JahrePage 338 2004 verteidigte Dissertation unter der Betreuung von Jörg-Detlef Kühne, Ordinarius für Verfassungsrecht und Verfassungsgeschichte. Schon gleich zu Beginn nennt Cécile Teissier die Probleme Frankreichs mit Regionalsprachen beim Namen: Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten werden in Frankreich Probleme des Schutzes von Regionalsprachen nicht als Probleme juristischer Natur gesehen. Die Mehrsprachigkeit eines Menschen verstößt dort landläufig gegen das Prinzip der einseitigen Pflege der französischen Sprache. Von einem französischen „Regionalsprachenrecht“ kann auch heute noch nicht die Rede sein. Davon ist natürlich im Süden nicht zuletzt das Katalanische betroffen.

In drei Teilen greift Verf. die Fragen auf. Während sie zunächst die Sprachen als Objekt der französischen Rechtsordnung beschreibt, charakterisiert sie im zweiten Teil das Prinzip der französischen Sprache als Sprache der Republik, um im dritten resp. letzten Teil die Regionalsprachen im Schulrecht exemplarisch zu thematisieren. Nicht nur der Jurist, sondern auch der Linguist hat an der sehr tiefgreifenden Untersuchung seine Freude. Im Unterschied zu Gilles Despeux1 zählt Cécile Teissier richtigerweise neun verschiedene Sprachen auf dem europäischen Staatsgebiet Frankreichs, nämlich Baskisch, Bretonisch, Elsässisch/Lothringer Platt (Deutsch), Flämisch, Franco-provenzalisch, Katalanisch, Korsisch, die Oïl-Sprachen und Okzitanisch. Außer Acht lässt sie dabei Arabisch, Berbère, Jyddisch, Romani Chib und Armenisch, die sich keinem besonderen Gebiet zuordnen lassen, wie auch die Sprachen der Überseegebiete [S. 6-7].

Der französische Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 1 Satz 2 der Verfassung könnte in seinem traditionellen Verständnis einen Schutz der Regionalsprachen bewirken, sobald die rechtliche Anerkennung einer offiziellen Sprache mit einem rechtlich-positiven Status der Regionalsprachen verbunden wäre. Allerdings begründen die Regionalsprachen, die in der aktuellen französischen Rechtsordnung allein durch Abwehrrechte geschützt sind, im Hinblick auf staatliche Leistungen keine geschützte Rechtsposition. Der französische Staat erbringt Leistungen zugunsten der Regionalsprachen nicht aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes, sondern auf freiwilliger Basis. In einer Entscheidung vom 1. April 1996 hatte der französische Conseil d’Etat konstatiert, dass Schüler, die eine Regionalsprache –hier Bretonischgelernt hatten, eine ungleiche Behandlung erführen. Sie dürf-Page 339ten allerdings keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes geltend machen, wenn sie keinen Abschluss in diesem Fach ablegen durften, weil die Erteilung des Unterrichts für die Fächer Geschichte und Geographie in bretonischer Sprache kein Recht der Schüler begründet habe, in dieser Sprache bei der Abschlussprüfung geprüft zu werden. Ebenfalls lehnte der Conseil d’Etat einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ab, als regionalsprachige Veröffentlichungen von staatlichen Subventionen ausgeschlossen wurden, die zugunsten der Presse vorgesehen waren. Nach aktuellem französischem Recht besteht zwar ein Recht auf Subventionen bei Veröffentlichungen in französischer Sprache, jedoch nicht für regionalsprachige Veröffentlichungen. Obwohl gerade die zweisprachig gestaltete Presse mit höheren Kosten konfrontiert ist, werden die Regionalsprachen geringer gewichtet; und dies mit der Begründung, weil nur beim Französischen und eben nicht bei den Regionalsprachen ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vorliegen könne. Der Verf. ist in folgendem beizupflichten: „Wenn die Rechtsprechung des Verfassungsrates bislang kein regionalsprachliches Individualrecht des Bürgers über die Ausdrucksfreiheit begründet hat, so könnte doch der französische Gesetzgeber die Regionalsprachen schützen und fördern, und zwar gerade wegen seiner Beteuerung, dass Regionalsprachen ein schutz- und förderungswürdiges Kulturerbe seien“ [S. 162].

Das Herzstück der Arbeit ist die Betrachtung der Regionalsprachen im Schulrecht [S. 165-434]. Auch hier bringt Verf. eine Fülle von übersichtlichen Tabellen und aktuellem Zahlenmaterial. Sehr lesenswert ist auch der Teil über die Regionalsprachen in den sog. Vereinsschulen in Frankreich. Diese sind in Frankreich nach Maßgabe des französischen Vereinsgesetzes vom 1. Juli 1901 eingetragen worden. Sie begegnen uns insbesondere im spanischen Baskenland und in der Bretagne.

Lobenswert sind die Korrekturen und Verbesserungsvorschläge, mit denen Cécile Teissier ihre Arbeit beschließt. Dadurch soll der Schutz und die Förderung der französischen Regionalsprachen sowie die Rechtssicherheit und Gleichheit der Bürger gewährleistet werden. Mit Artikel 8 der europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen würde Frankreich dazu verpflichtet, ein Pflichtangebot der Regionalsprachen auf Nachfrage der Familien anzubieten, wobei die Zahl der Schüler als genügend groß angesehen werden muss. Das paritätisch und kontinuierlich zweisprachige Pflichtangebot auf Nachfrage über die gesamte Schulausbildung würde den französischen Staat dazu verpflichten, einen erheblichen Teil der Vorschulerziehung, des Primarschul- und des Sekundar-Page 340schulunterrichts in den betreffenden Regionalsprachen anzubieten, wenn die Familien dies beantragten, wobei die Zahl der Schüler als genügend groß angesehen werden muss. Dies würde sich auch auf die Errichtung eines entsprechenden vollwertigen Lehrerstabs für die Regionalsprachen mit entsprechenden Lehramtsprüfungen und Karrieremöglichkeiten beziehen. Der Staat müsste verpflichtet werden, auch für die Grund- und Weiterbildung dieser Lehrerschaft zu sorgen.

Als Fazit bleibt, dass die französische Rechtsordnung ihre Möglichkeiten nicht ausschöpft. Frankreich macht ebenso wenig davon Gebrauch, die Regionalsprachen rechtlich auf irgendeine geeignete Weise zu berücksichtigen, etwa im Rahmen der Minderheitenrechte, der individuellen Rechte bzw. innerhalb der staatlichen Schutzund Förderungspflichten. Der Verfassungsrat hatte in seiner Entscheidung vom 15. Juni 1999 die europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sogar für verfassungswidrig erklärt, weil sie Gruppen und Territorien sowie ein „unveräußerliches Recht auf Gebrauch einer Regional- oder Minderheitensprache im privaten und öffentlichen Leben“ anerkenne. Seitdem lehnt der französische Staat kategorisch seine rechtlichen Verpflichtungen zum Schutz und zur Förderung der Regionalsprachen ab.

Die Verf. bringt zuletzt auf den Punkt, dass es nicht eigentlich die französische Rechtsordnung, sondern die „jakobinischen Urängste“ sind, die die französische Unterrichtspolitik im Hinblick auf die Regionalsprachen steuerten. Obwohl die demokratisch gewählten Vertreter der Republik seit mehr als 50 Jahren immer wieder ihren Willen bekundeten, die Regionalsprachen als Teil des französischen Kulturerbes schützen und fördern zu wollen, läuft die Politik zweigleisig, d. h. nach außen die Beteuerung des Förderungs- und Schutzwillens und nach innen die Weigerung, gestützt auf die „jakobinischen Urängste“, die Einheit der Republik zu zerstören. Zur Aufrechterhaltung dieser Zweigleisigkeit benutzt man juristische Scheineinwände, die die Arbeit von Cécile Teissier sehr deutlich entlarvt. Sie kommt sogar zum Ergebnis, dass Frankreich als einziger dezentralisierter Einheitsstaat in der Europäischen Union durch die vorgeschlagenen und anstehenden Maßnahmen nicht gefährdet würde, sondern es sogar ganz im Gegenteil seinen europäischen Partnern den Beweis seiner Tauglichkeit als moderne Staatsorganisationsform erbringen könnte [S. 433-434].

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[1] Die Anwendung des völkerrechtlichen Minderheitenrechts in Frankreich, Diss., in: Schriften zum Internationalen und zum Öffentlichen Recht, Frankfurt a.M. u.a. 1999, Rdnrn. 251 ff.

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