Kauf und Vorvertrag im westgotischen Recht

AutorJan Dirk Harke
Páginas703-719

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1. Einführung

Für das Verständnis des westgotischen Kaufrechts sind zwei aufeinanderfolgende Bestimmungen des Codex Euricianus zentral, deren Deutung umstritten und mit der Auseinandersetzung über das Verhältnis germanischer und römischer Einflüsse auf das westgotische Recht1belastet ist: CE 296 Si pars praetii data est, pars promissa, non propter hoc venditio facta rumpatur; sed si emptor ad placitum tempus non exhibuerit praetii reliquam portionem, pro parte, quam debet, solvat usuras; nisi hoc forte convenerit, ut res vendita reformetur.

CE 297 Qui arras pro quacumque acceperit re, praetium cogatur implere, quod placuit. Emtor vero, si non occurrerit ad diem constitutum, arras tantummodo recipiat, quas dedit, et res definita non valeat2.

Für sich genommen bereitet das Verständnis von CE 296 keine besonderen Schwierigkeiten: Wer statt einer vollständigen lediglich eine Anzahlung auf den Kaufpreis leistet, wird gleichwohl Partner einer wirksamen venditio und verpflichtet, den Restbetrag zu zahlen, sofern sich der Verkäufer für den Fall der Säumnis nicht die Rückgewähr der Kaufsache vorbehalten hat. Die Page 704

Bedeutung von CE 297 erschließt sich dagegen nicht ohne weiteres: Wer eine arrha für eine Sache hingibt, verpflichtet ihren Empfänger dazu, den Preis zu erfüllen (praetium implere). Sollte er aber seinerseits nicht zum vereinbarten Zahlungstermin erscheinen, ist das Rechtsverhältnis aufgelöst; und er erhält die arrha zurück. Diesem nicht leicht konsumerablen Text will d'Ors durch eine abweichende Lesung einen eingängigeren Inhalt geben. Statt acceperit im einleitenden Halbsatz liest er dederit und dreht so das herkömmliche Textverständnis um: Gebunden sein soll nicht der Verkäufer, der eine arrha empfängt, sondern vielmehr der Käufer, der die arrha hingibt 3. Diese Lösung hat den zwar den Vorteil, daß sich praetium implere unkompliziert als Beschreibung der Käuferverpflichtung zur Preiszahlung deuten läßt. Hat man den Ausdruck dagegen auf der Grundlage der herkömmlichen Lesung auf den Verkäufer zu beziehen, ist man zu der Annahme gezwungen, er stehe für eine Bußzahlung in Höhe des Kaufpreises 4oder bedeute, daß der Verkäufer dem vom Käufer erwarteten pretium eine Austauschleistung entgegenzusetzen habe 56. Durch die neue Lesung von d'Ors wird jedoch die adversatorische Einleitung des zweiten Satzes unverständlich: Die Formulierung emptor vero zeigt an, daß das Thema jetzt von der Verkäufer- zur Käuferseite wechselt 7. Begegnet d'Ors' Lesung auch im übrigen Zweifeln 8, kann sie jedenfalls nicht die Verständnisschwierigkeiten beseitigen, vor die Nachfolgebestimmung von CE 297 in der Lex Visigothorum stellt. Hier ist es ganz eindeutig der die arrha empfangende Verkäufer, der zu inplere verpflichtet wird, während eine Säumnis des Käufers lediglich zur Folge haben soll, daß dieser die arrha zurückerhält und der Kauf ungültig ist: LV 5.4.4 Si arris datis pretium non fuerit inpletum. Qui arras pro quacumque re acceperit, id cogatur inplere, quod placuit. Emtor vero, si per egritudinem aut gravem necessitatem, que vitiari non potuerunt, ad constitutum non occurerit diem, quem voluerit pro se dirigat, qui pretium tempore definito perconpleat. Quod si consituto die nec ipse successerit nec pro se dirigere voluerit, arras tatunmmodo recipiat, quas dedit, et res definita non valeat 9.

Siems 10, der nicht die hergebrachte Lesung, wohl aber die wirtschaftliche Vernunft vermißt, welche CE 297 und LV 5.4.4 nach dem üblichen Verständnis Page 705zukommt, schlägt vor, die Bedingung: si non occurrerit ad diem constitutum, auf den Verkäufer zu beziehen. Vertragsauflösung und Rückgabe der arrha werden so zu Sanktionen eines nicht erwartungsgerechten Verkäuferverhaltens. Abgesehen davon, daß dieser Lösung wiederum die Einleitung: emptor vero, entgegensteht, bedeutete die eingeschränkte Sanktion der Verkäufersäumnis einen offenen Widerspruch zu der vorangehenden Aussage, daß der Verkäufer zur Erfüllung gezwungen wird (cogatur implere). Sie wäre regelrecht falsch, wenn die Nichterfüllung lediglich die Verpflichtung zur Rückgabe der arrha zeitigte. Nach wie vor ungeklärt bliebe auch, warum die arrha des westgotischen Rechts anders als das gleichnamige Institut des justinianischen Rechts 11nur einseitig, nämlich zu Lasten ihres Empfängers, wirkte; und offen bliebe schließlich, wie das Verhältnis zur pars pretii ist, die gemäß CE 286 und nach der nahezu wortgleichen Nachfolgebestimmung in der Lex Visigothorum 12gerade umgekehrt Rechtsfolgen zu Lasten des anzahlenden Käufers zeitigen soll.

Gierke 13sieht in den beiden Regelungen der westgotischen Gesetze germanisches Rechtsgut zweier unterschiedlicher Entwicklungsstufen umgesetzt: CE 296 stehe für die Periode, in der man das ursprüngliche Modell der Haftung aufgrund realen Empfangs insoweit aufgelockert habe, als statt der vollen Vorleistung auch deren Teil, insbesondere eine pars pretii, verpflichtend wirke. In CE 297 manifestiere sich mit dem Arrhalvertrag germanischen Charakters der nächste Schritt, der zum Formalgeschäft geführt und darin bestanden habe, statt der realen Voroder Teilvorleistung ein Zeichen hierfür genügen zu lassen.

Diesem rein germanistischem Verständnis gegenüber steht die Deutung von Merêa 14, D'Ors 15und Schindler 16, die in den Bestimmungen des Codex Euricianus und der Lex Visigothorum bloß zurückgebildetes römisches Kaufrecht erkennen wollen, dessen Degenerationsgrad sie freilich ebenso wie Siems deutlich niedriger einschätzen als Levy 17und Kaser 1819. Diese sehen im westgotischen Kauf ebenso wie Archi 20ein Musterbeispiel für die Rückbildung der römischen emptio venditio zum Bargeschäft und ihrer Verschmelzung Page 706mit der Übereignung zu einem Simultanakt, dessen Wirksamkeit grundsätzlich von der Preiszahlung abhänge. CE 297 bewahre dagegen immerhin insofern originär römisches Rechtsgut, als der arrha keine vertragsbegründende, sondern nur die Wirkung zukomme 21, den Verkäufer an der Veräußerung der Kaufsache zu hindern. Diese Einschätzung teilt ansatzweise auch Pringsheim 22, der in der Kombination von Veräußerungsverbot und fehlender Vertragswirkung freilich eine Kombination von germanischem und römischem Recht erkennen will. Wieacker 23sieht die unterschiedlichen Einflüsse des römischen und germanischen Rechts dagegen auf CE 296 und 297 verteilt: Während die erste Vorschrift die römische Anzahlungsfunktion und den Konsensualkauf konserviere, stehe der Arrhalkauf, wie ihn CE 297 statuiere, gerade im Gegensatz hierzu 24.

2. Pretium als Vorleistung des Käufers

Daß die Vorleistung eines Vertragspartners nicht unabdingbar für die Wirksamkeit des Kaufs ist, scheint auf den ersten Blick die Bestimmung zu ergeben, die im Codex Euricianus den Titel de venditionibus eröffnet: CE 286 25

Venditio per scripturam facta plenam habeat firmitatem. Si etiam scriptura facta non fuerit, datum praetium testibus conprobatur, et emptio habeat firmitatem. Venditio, si fuerit violenter extorta, id est aut metu mortis aut per custodiam, nulla valeat ratione 26.

Sind die bezeugte Preiszahlung und die scriptura, abgesehen vom Fall des widerrechtlichen Zwangs, alternative Auslöser einer plena firmitas des Kaufvertrags, 27legt dies den Schluß nahe, daß die venditio, wenn sie schriftlich Page 707 vereinbart wird, auch ohne die Entrichtung des Kaufpreises aus-, diesem nur Beweisfunktion zukommt 28. Ein solches Verständnis setzt freilich voraus, daß die scriptura nur Zeugnis der Parteivereinbarung und nicht auch der Kaufpreiszahlung wäre. Bekundet die Urkunde, die CE 286 meint, dagegen außer der Kaufabrede auch die Bezahlung der Kaufsache 29, beschränkt sich der Sinn der Vorschrift darauf, zwei alternative Beweismittel für die Kaufpreiszahlung benennen. Sie entspricht damit ihrer Nachfolgebestimmung in der aus dem Codex Euricianus entwickelten Lex Baiuvariorum, die für den Grundstückskauf post accepto pretio die Beweissicherung durch carta oder Zeugen vorschreibt 30:

LBai 16.2 Si quis vendiderit possessionem suam alicui terram cultam non cultam prata vel silvas: post accepto pretio aut per cartam aut per testes conprobetur firma emptio. Ille testes per aurem debet esse tractus, quia sic habet lex vestra; duos vel tres vel amplius debent esse testes. Venditio si fuerit violenter extorta, id est aut metu mortis aut per custodiam, nulla valeat ratione 31.

Die ratio, nämlich, daß auf diese Weise Streit über kaufweise erlangte Sachen vermieden wird, wird im Bayerngesetz gleich mitgeliefert:

LBai 16.15 Quicquid vendiderit homo aut comparaverit qualemcumque rem, omnia sint firmata aut per cartas aut per testes, qui hoc probare possent; hoc est de mancipiis, de terra, casis vel silvis, ut postea non sit contentio 32. Page 708

Der alternative Beweis von Kaufabrede und Preiszahlung durch Urkunde oder Zeugen bedeutet lediglich eine unwesentliche Einschränkung gegenüber der Interpretatio zu den Paulussentenzen, die außer dem instrumentum noch quaelibet probatio zulassen will:

LRV PS 2.18.10 In eo contractu, qui ex bona fide descendit, instrumentorum obligatio sine causa demonstratur, si quo modo voluntas de fide contractus possit ostendi.

IP In contractibus emti et venditi, qui bona fide ineuntur, venditionis instrumenta superflue requiruntur, si quocunque modo res vendita, dato et accepto pretio, qualibet probatione possit agnosci 33.

Der Zusatz dato et accepto pretio, der kein Vorbild im Sentenzentext hat, ist ein starkes Indiz dafür, daß der Text des Bayerngesetzes auch dem Sinn des westgotischen Gesetzes zum Ausdruck verhilft 34: Ist Beweisthema der quaelibet probatio, welche alternativ zum instrumentum offensteht, die Zahlung des Kaufpreises, muß diese auch Gegenstand der Urkunde sein...

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